Am nächsten Morgen starte ich früh von meinem Gastgeber. Nach 30 Kilometern erreiche ich eine kleinere Stadt. Während ich mich durch ihre Straßen kämpfe, entdecke ich ein Werbeplakat der Armee. Eigentlich nichts Besonderes, aber den Indern scheint es zurzeit an Grafikern zu mangeln. Der schwarz-rote Soldat rechts im Plakat ist nämlich die Titelfigur eines Computerspiels namens Battlefield 3. Sehr amüsant.

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Nach der Stadt ändere ich meine Route etwas, auf Rat der Einheimischen, und so geht es über kleine Feldwege durch Reisfelder. Ein Großteil jener ist aber zu dieser Jahreszeit nicht bepflanzt.

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Ich werde misstrauisch beäugt:

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Im Fluss wird Kleidung gewaschen, gebadet, die Büffel gesäubert und oft der Müll entsorgt:

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Jeder zweite Inder will ein Selfie mit mir:

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Vor der nächsten Stadt Siruguppa stärke ich mich dann noch mit dem Reis, den ich gestern gekauft habe. Danach stehe ich mit einer Tüte und einer leeren Plastikflasche da. Wohin damit? Mülleimer gibt es in Indien kaum und ich möchte das Zeug nicht die nächsten Tage mit mir rumschleppen. Letztlich werfe ich es in eine kleine Grube. Da gesellt es sich gut zu weiteren Flaschen, Tüten, allem möglichen Krempel und einer toten Ziege. Dennoch plagen mich die Gewissensbisse. Wie viele Jahrzehnte das da wohl noch liegen wird?

Danach geht es durch Siruguppa. Mehrmals muss ich auf die Karte schauen und alsbald, dass ich stehen bleibe, bin ich von einer neugierigen Menge umringt. Die Anzahl dieser scheuelosen Schaulustigen steigt stets exponentiell. Anfangs traut sich keiner, aber macht einer den ersten Schritt, kommen mehr und mehr und wenn sich eine Gruppe bildet muss irgendwann jeder zweite Inder der Straße wissen, was da los ist. Wie in einem Zombiefilm, kommt dann von allen Seiten jung, alt, reich und arm, aber immer männlich, auf einen zu gekrochen. Mir geht das Ganze langsam mehr und mehr mächtig auf den Sack.

Aber zurück zum Radeln, denn nach Siruguppa geht es erstmal aufs Land und da gibt es ja gottseidank nicht diese Massen an Inder. Auf einer kleinen Nebenstraße halte ich neben einem Baumwohlfeld, in dem ein paar ältere und ein paar jüngere Frauen/Mädchen emsig bei der Arbeit sind. Ich knipse ein Photo und mache mir Gedanken, was ich den in so einer Situation machen würde, wenn ich den ganzen Tag auf dem Feld arbeiten müsste. Wäre ich glücklich?

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Meine photographischen Aktivitäten sind nicht unbemerkt geblieben und so kommt eine der älteren Frauen und all die Mädchen aus dem Feld gestiegen, den lustigen Fremden zu begrüßen. Die hilfelosen Kommunikationsversuche der Mädchen kommentiert die ältere Frau mit einem Lachanfall und plumpst fast wieder in ihr Feld zurück. Letztlich finden wir aber einen gemeinsamen Nenner und ich knipse Photos von ihnen und zeige die Resultate. Die amüsieren sie und bringen sie zum Kichern. Oder bin es ich? Egal. Ich habe eine gute Zeit, wer knipst den nicht gerne Photos von netten Mädchen? Zum Abschied schenken sie mir noch eine Stange Zuckerrohr.

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Ich bin kaum ein paar Meter weiter, da grüßt mich schon der nächste Inder. Schießt mir erst der Gedanke „weiterfahren!“ durch den Kopf, bleibe ich doch kurz stehen. Und siehe da, der Inder spricht erstaunlich gut Englisch. So lasse ich mich auf einen kleinen Tratsch ein. Er stellt sich als Sangamesh vor und meint, er hat studiert, möchte aber Bauer sein. Ein guter Bauer, fügt er mit einem Grinsen hinzu. Danach lädt er mich ein, doch ein bisschen in seinem Dorf zu bleiben. Ich könnte auch die Nacht in seinem Haus verbringen. Mit einem Blick auf die Uhr, die erst 14:00 anzeigt, verneine ich sein Angebot, sage, ich muss weiter. Die Kilometer rufen.

Daraufhin folgt ein Bitten seinerseits. Letztlich lasse ich mich erweichen, kann ich ja doch nur noch drei weitere Stunden im Hellen fahren. Und Sangamesh scheint mir auch ein guter Kerl, ich verstehe mich ganz prächtig mit ihm. So geht es in sein Dorf, zu allererst zur Schule. Da werde ich erstmal deponiert, er muss noch alles herrichten.

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Diese Gelegenheit ergreift ein Dorfkumpane und führt seinerseits den interessanten Fremden aus, zum Dorftempel, da wird gerade das Mittagessen serviert. Gottseidank ziehe ich hier nicht die komplette Aufmerksamkeit auf mich, dem Essen bin ich in diesem Punkt unterlegen.

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Wie wohl die deutsche Schrift auf meinen Teller gekommen ist?

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Zum Essen gibt es etwas Süßes, etwas Salziges und etwas Scharfes. Mir ist alles recht und schnell verschwindet eine Portion nach der anderen in meinem großen Radlermagen. Etwas überfüllt, bewege ich meinen vollen Bauch Richtung Schule..

Dort ist Sangamesh mittlerweile zurückgekehrt und meint, er müsste mir ein paar Sachen in der Umgebung zeigen. Mit von der Partie ist ein weiterer Freund. Zu allererst geht es zu einer Schule. Diese ist leer und deswegen doch recht unspektakulär. In der zweiten Schule widmen sich gerade ein paar Schüler dem Cricket und ich betrachte das Schauspiel ein bisschen. Danach verschwindet Sangamesh, warum ist mir nicht klar, und es geht mit seinem Freund zu einem Dorf, in dem Bangladeschis leben. Irgendwie sind die dahin gekommen und man merkt doch Unterschiede im Detail zum Inder.

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Ein schöner Tempel im Dorf:

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Mein Gastgeber:

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Reisbauern bei der Arbeit:

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Zum Abendessen bin ich bei der Familie von Sangamesh Freund, der übrigens den Namen Lingaraj trägt, eingeladen. Ist mir Lingarajs Redseligkeit schon über Tags aufgefallen, übertreibt er es nun etwas mit der Gastfreundschaft. Wenn ich sage, ich will keinen Reis mehr, will ich auch keinen mehr! Wieso wird das nicht ernst genommen?

Für die Nacht habe ich zwei Übernachtungsmöglichkeiten. Die Schule oder Sangameshs Haus. Da mein Hab und Gut noch in der Schule weilt, müssen wir eh dort hin. Als wir dort ankommen, vertreiben sich dort vier Inder ihre Zeit. Okay, damit kann ich leben, ich würde jetzt gerne schlafen. Nach ein paar Minuten haben sich die vier Inder aber auf magische Weise um 20 weitere vermehrt. Und es treffen mehr und mehr Inder im Schulhof ein, den Fremden zu beglubschen und seine geistige Gesundheit aus ihm heraus zu starren. Die glaube ich nämlich langsam zu verlieren, war ich in dem Dorf doch bereits den ganzen Tag Fokus der Aufmerksamkeit. Und als mir dann eine Gruppe Inder auch noch zum Pinkeln an den Rand des Dorfes folgt, platzt mir endgültig der Kragen. All die eintönigen Fragen werden nur noch halbherzig beantwortet. Jetzt wird erst einmal Sangamesh angerufen. Der soll hier aufkreuzen und mich aus den Klauen dieser Zoobesucher befreien. Denn so fühlt es sich an. Wie ein Gang in den Zoo, bloß, dass ich im Gehege sitze.

Sangamesh eilt dann auch zu meiner Rettung, hat zwar etwas getrunken und nuschelt mehr, als das er spricht, aber weiß mich dennoch in seinem Haus unterzubringen. Gerade will ich dann einschlafen, die schwere Kost dieses Tages zu verdauen, da höre ich wieder diese Mucke der Tempelpriester. Ach liebe Inder, müsst ihr den immer einen drauf setzten?

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2 Kommentare

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  • Hallo Samuel,

    gerade lese ich wieder mit größtem Interesse den jüngsten Reisebericht und kann mich nur zu gut in deine Lage versetzen. Ich hab mich ja füher auch sehr viel in Südindien aufgehalten und die Mentalität der Bevölkerung ist mir noch sehr vertraut. Daher finde ich es toll, wie schnell du dich auf allen Ebenen bereits akklimatisieren konntest.
    Wenn du mal eine gute Internetverbindung hast, können wir gerne wieder skypen! Melde dich einfach, umgekehrt ist es eher schwieriger. Ich würde mich freuen! Weiterhin gute Fahrt und LG Rainer

    • Hallo Rainer,

      ich habe zurzeit in meinem Guesthouse Wifi. Ist aber mitunter recht langsam. Ich melde mich, wenn ich mal Zeit habe.

      LG

      Samuel

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