Am nächsten Morgen starte ich munter in den Tag. Die ersten paar Kilometer führen hinter dem Industriegebiet der Stadt entlang. Dort stinkt es ganz furchtbar. Wie fermentierter Pferdescheißenkaugummi. Bah. Trotzdem sind zwischen den Industrieanlagen ein Haufen Reisfelder angelegt. Wie gesund das wohl ist? Ich bin jedenfalls froh, dass ich da weder wohnen noch essen muss.
So geht es weiter auf dem Nationalen Highway und je später es wird, desto heißer und stärker brennt die Sonne vom Himmel. Nach den eineinhalb Monaten in Rishikesh ist meine Haut längst nicht mehr so braun und ich merke, dass sie bereits zu lange gebrutzelt hat. Ich kleide mich zum Schutz mit Ärmlingen und einem Tuch.
Am Nachmittag finde ich am Rande des Highways eine kleine Baumallee. Wer hat sich denn da die Mühe gemacht? Hinter den Bäumen versteckt sich auch noch ein ansehnliches, aber mittlerweile schon stark verfallenes Haus. Ein Relikt aus der Kolonialzeit?
Ein schöner Fleck am Rande der Straße.
Die Straße auf der ich mich derzeit befinde ist unberechenbar. Manchmal ist sie eine super ausgebaute Autobahn mit kaum Verkehr, ein anderes Mal gubt es keinen Teer und nur eine löchrige Piste.
Irgendwer hat dem Pferd die Beine zusammengebunden, damit es nicht wegrennt. Jedoch scheint dieses herrenlos zu sein. Sind Kühe oder Pferde krank oder verletzt, setzten Bauern diese nicht selten einfach auf die Straße.
Am späten Nachmittag fahre ich in die Stadt Sitarganj ein. Ich finde auch recht schnell ein Hotel, doch sie verlangen dort 1000 Rupie für ein Zimmer! Das ist mit Sicherheit wieder ein Ausländerpreis. Also stehe ich wieder auf der Straße und wundere mich, was nun? Ich sehe einfach kein zweites Hotel.
In diesem Moment kommt ein Inder auf mich zu. Manchmal trifft man einfach Menschen, die sind zur rechten Zeit für einen m rechten Ort. So auch hier. Er erkundigt sich bei den Einheimischen nach weiteren Hotels. Danach geht er alleine rein und frägt nach dem Preis, damit ich nicht den überteuerten Ausländerpreis zahlen muss. Und so finden wir nach kurzer Zeit ein Zimmer zum halben Preis für mich.
Danach meint er noch, ich sollte morgen lieber erst am späteren Nachmittag starten. Morgen sei Holi und ich würde schnell voll Farbe sein und auf betrunkene Leute treffen.
So schlimm wird es ja wohl nicht sein, denke ich mir nur und so starte ich trotzdem um 7:00 am nächsten Morgen. Zudem ist die Grenze bis Nepal nur noch 40 Kilometer entfernt und wenn ich dort früh ankomme ist es sicher auch nicht verkehrt.
Der Morgen verläuft auch noch sehr ruhig. Hin und wieder sieht man schon ein eingefärbtes Männlein, aber die Inder halten sich, zumindest bei mir, noch zurück. Anfangs weiche ich auch den Leuten noch aus, die, wie sie es nennen, „Holi spielen“ wollen, da ich mir denke, einmal bunt will jeder mit dem Ausländer auch Holi spielen. Und ich will noch ein bisschen was schaffen heute.
Das erste Mal Holi spiele ich dann mit ein paar Jugendlichen, die einfach so darum bitten, dass ich nicht nein sagen kann.
Das zweite Mal sitze ich beim Essen am Straßenrand und die Köchin meint zu ihre Tochter, sie solle mich doch mal voll machen. Ganz schüchtern gibt sie mir da ein bisschen von dem Farbpulver auf die Stirn und Backe. Zu süß.
Und so geht es dann weiter. Hier will jemand Holi spielen, da will jemand Holi spielen.
Ich werde im Laufe des Vormittags jedoch auch von einem netten indischen Mädchen zum Essen eingeladen. Sehr nett, das ist mir schon seit Südindien nicht mehr passiert.
Am Vormittag wird das Fest dann immer lebhafter und ich bunter. Und neben normaler Pulverfarbe fangen auch Wasserbomben an, von Dächern zu fliegen. Und da ich Weißer bin, lässt mich da auch keiner aus.
Einmal bleibe ich vor einer Gruppe Kindern stehen. Augenblicklich bin ich umringt und habe zig Hände im Gesicht und eine Haufen Farbe. Mittlerweile frage ich mich, wieso mir überhaupt noch jemand Farbe ins Gesicht schmieren will, ich bin ja schon total bunt.
Langsam wird es mir dann aber zu bunt. (Beine hoch, der kam flach!) Was anfangs noch wirklich lustig ist, wird gegen Mittag mehr und mehr lästig. Da sind dann mehr und mehr Inder betrunken und Grenzen gibt es so weniger und weniger.
Als ich in eine größere Stadt einfahre, wird diese von zahlreichen Gruppen bunter Inder durchstrifen. Wenn ich jetzt halte, dann kommen von allen Seiten sicher mehr als hundert Menschen um mich einzufärben und los komme ich garantiert nicht mehr. So fahre ich Slalom um diese Gruppen, die, stets wenn sie sehen, dass ich ein Fremder bin auf mich zu kommen. Ich fühle mich fast wie in einem Zombiefilm.
Danach habe ich ein paar betrunkene Motorradfahrer an der Backe. Ich solle doch unbedingt stehen bleiben, sie wollen ein Photo mit mir machen. Ja sicher, wenn ich jetzt stehen bleibe, springt gleich jeder in der Umgebung auf und rennt her. Das Ganze wollen sie natürlich nicht verstehen und beginnen damit mich von der Straße abzudrängen. Gottseidank hören sie das bald auf und drehen um.
Einmal bleibe ich dann aber doch stehen, um ein Photo zu machen. Keine gute Idee. Es springt wirklich jeder auf und von allen Seiten kommen vor allem Kinder. Mit 20 Händen im Gesicht, versuche ich mich dem Schwarm zu entreißen, komme aber fast nicht los, da mein Rad festgehalten wird.
Auch Inder haben Probleme. In einer kleinen Stadt sehe ich, wie eine Gruppe Jugendlicher einen Autobus anhält und dem Fahrer einfach die Schlüssel abzieht.
Mittlerweile ist die Stimmung bei mir auch recht im Keller. Ich habe jetzt bereits unzählige Male Holi gespielt und muss mehr und mehr betrunkene Typen abweisen. Langsam fängt es an zu nerven.
In der letzten Grenzstadt, bringt mich dann eine Bande an jungen Männern zum Stürzen. Ein Inder mit Schlagstock muss die ganzen anderen in Schach halten, damit ich weiterfahren kann.
Jetzt schau ich natürlich aus, wie der letzte Papagei.
Und mein Rad ist auch recht bunt.
Für die Grenzüberquerung springe ich so noch mit ein paar Leidensgenossen in den Grenzfluss und Wasche mein Rad einmal.
Bis auf die Stirn bin ich dann auch sauber, da hat irgendjemand wasserfeste Farbe verwendet.
Ich bin jedenfalls sehr glücklich, als ich die rettende Grenze erreiche. In Nepal gibt es zwar auch Holi, das ist aber an anderen Tagen. Ich treffe an der Grenze auch auf eine Gruppe andere Reisende, die mit dem Motorrad von Katmandu nach Delhi fahren. Ich wäre ja gespannt, wie sie sich jetzt mit dem Motorrad durch Indien schlagen. Vielleicht ist es mit Motorrad besser, aber mit meinem Rad hätte ich jetzt stets Angst, dass sie mich davon einfach runterholen.
Der Grenzübergang auf nepalesischer Seite verläuft gottseidank recht problemlos, das Visa bekomme ich für 40$ einfach an der Grenze. Danach fahre ich noch 7 Kilometer weiter und nehme mir ein Zimmer in der nächsten kleinen Stadt, es ist nämlich schon später Nachmittag. Grenzübergänge sind generell immer toll, man kann sich auf ein neues Land freuen, ist aber leichter als Fliegen.
Datum: 24. März 2016
Oh Mann Samuel, da kannst von Glück reden, dass die Farbe abzuwaschen war. 🙂
Ja, sie ging bloß auf der Stirn nicht ganz weg, da haben mich die Nepalesen ein paar Tage komisch angeschaut. 😀