Als ich am Morgen mit Sangamesh zur Schule gehe, sind wir nicht die Ersten im Schulhof. Eine Gruppe aus etwa 15 Indern steht rund um die Bambushütte, in der mein Fahrrad untergebracht ist. Sie sind ganz aufgeregt und drängeln, doch auch mal einen Blick in den Türspalt zu erhaschen. Kaum haben sie mich bemerkt, dreht sich ihre Aufmerksamkeit um 180°. Der Schwarm hält auf mich zu und einmal umringt, ist es schwer, sich wieder aus seinen Klauen zu entreißen.

So packe ich schnellst möglich zusammen, denn das Gestarre bringt mich langsam wirklich an meine Grenzen. Zum Teufel, verdammte Scheiße, es nervt einfach!!!

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Für die nächste Zeit falle ich in den Tour de France Modus. Hände auf die Hörner, Ohrstöpsel rein und mit einer hohen Kadenz immer nur voran, gerade aus. Fast apatisch strample ich durch die Landschaft. In Städten halte ich nur noch kurz um Proviant nach zu kaufen. Und auch sonst gehe ich auf Fragen kaum noch ein, halte nicht mehr für eine Plauderei an.

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Doch das stumpfsinnige Gestrampel ist auch nicht des Problems Lösung. Isolation und Einsamkeit in der Masse ist das Ergebnis. Das tut genauso wenig gut und zieht mich herunter.

Am späten Nachmittag brauch ich deswegen erstmal eine Pause. Äußerst schlecht gelaunt, verärgert und traurig zugleich, setzte ich mich unter ein paar Laubbäume neben einem brach liegenden Acker. Leise Raschelnd die Blätter im Wind und die späte Nachmittagssonne streicht mir sanft wärmend über die Haut. Auf einmal bemerke ich, was ich den ganzen Tag lang übersehen habe. Wie still und friedlich doch alles ist. Meine Sorgen fallen von mir ab und ich sitze einfach nur mit dem Gewissen, dass es gerade nirgendwo besser sein könnte. So verweile ich für über eine Stunde und lasse meine Gedanken wie Wellen am Strand treiben.

Doch auch dieser Moment ist nicht für die Ewigkeit und ein Schlafplatz muss noch gefunden werden, will ich die Nacht nicht draußen verbringen. Ich setze mich wieder auf mein Rad und bin noch nicht einmal über den nächsten Hügel komplett drüber, da werde ich von einem Bauern angesprochen. Nach kurzer Zeit frägt er, ob ich denn etwas essen möchte. Essen? Auf jeden Fall!

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Erst bekomme ich ein bisschen Reis mit recht scharfer Gemüsebeilage. Aber das Highlight ist der Nachtisch. In einer kleinen Holzhütte, macht seine Frau ein paar Fladen mit einer süßen Nussfüllung über einem Feuer. Diese heißen Fladen sind grandios, ich habe schon lange nicht mehr so lecker gegessen und so bin ich nach dem Mahl pappsatt.

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Ich frage den Bauern, ob ich denn auf seinem Grund heute Nacht Zelten könnte. Er willigt ein, will mich aber davon überzeugen, dass das eine schlechte Idee ist. Es sei zu gefährlich. Ich sollte lieber in das nächste Dorf fahren, da gäbe es einen Tempel oder eine Kirche, die mich aufnehmen würden. Einen Tempel? Die Tempelpriester schmeißen gegen Abend sicher wieder ihre Mucke an. Nein danke, da bleibe ich lieber hier.

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Ich schlafe auch recht gut, einzig ein paar Käfer aus dem Heuhaufen wuseln alsbald durch mein Zelt. Aber mein Gott, es gibt schlimmeres.

Am nächsten Morgen bekomme ich noch Frühstück. Wieder Reis mit Gemüse. Wieder recht scharf. Dass nach einer Weile dann schon wieder die ersten Inder auftauchen und anfangen den frühstückenden Weißen zu beglubschen, verdirbt mir bald die Laune. Mein Gastgeber hingegen findet das ganz toll, so steht er mit mir zusammen im Zentrum der Aufmerksamkeit.

Ich schlinge das Frühstück runter und mache mich schnell auf den Weg. Ich habe genug. So halte ich auch nicht im nächsten Dorf und in der nächsten Stadt nur, um ein paar Schweine zu photographieren. Zu süß die Dinger.

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Über den Tag stolpere ich auch noch über eine riesige Ansammlung an Kühen. Ein Fest? Oder eine Tauschbörse?

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Gegen Abend komme ich dann an eine Abzweigung. Während ich auf die Karte schaue, sammelt sich, wie könnte es anders ein, wieder eine beachtliche Menge Inder um mich. Aus ihr tritt ein Polizist hervor. In gutem Englisch beginnt er mit mir zu sprechen und lädt mich auf einen Tee ein. Nun gut, den Tee gönne ich mir. Ich sitze jedoch kaum im Restaurant, da drängen mehr und mehr Inder herein um mich einfach nur anzuglotzen. Das Restaurant platzt bald fast aus allen Nähten. Nach fünf Minuten werde ich vom Restaurantbesitzer rausgeworfen. Hallo? Was kann ich denn für diese Scheiße? Wütend steige ich auf mein Rad und fahre davon.

Als wäre das nicht genug, kommen zwei Inder neben mir auf einem Motorrad daher und fragen, ob wir denn ein Selfie machen könnten? Ich sage klar nein, aber das scheinen die Beiden nicht verstehen zu wollen. Sie beginnen mir mit ihrem Motorrad den Weg abzuschneiden, vorauf hin ich bei einem Ausweichmanöver in ein weiteres Motorrad knalle.

Jetzt platze ich aber! Ich schreie die Beiden an und sie bekommen den Ärger der letzten zwei Tage zu spüren. So viele Schimpfwörter sind mir selten in so kurzer Zeit aus dem Mund gekommen. Aber was erwarten sie? Sie haben mich immerhin versucht mit dem Motorrad abzudrängen. Der Anschiss sitzt jedenfalls und so ziehen die Beiden Leine.

Bis zum nächsten Dorf bin ich gottseidank wieder abgekühlt. Dort weisen mir die Bewohner den Weg zu einem Tempel auf einem kleinen Hügel, in dem ich übernachten könnte. Mit einer Gruppe kreischender Kinder und Jugendliche im Gepäck mache ich mich auf den Weg Richtung Tempel.

Von dem Tempel werde ich aber später am Abend zu einer Schule nebenan verfrachtet. Der Schulleiter kuckt nicht schlecht, als der Fremde mit der Gruppe kreischender Kinder und Jugendlicher ankommt. Der Spaß hat aber schnell ein Ende, denn der Schulleiter ist das typische Bild von einem strengen Lehrer. Auch seine eigenen Schüler verweist er stets zum Weitergehen, wenn sie stehen bleiben und mich anstarren. Immerhin gibt mir das endlich mal eine Verschnaufpause.

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Ich bekomme zum Abendessen und danach geht es in einen großen Saal, in dem die Schüler bereits gespannt auf mich warten. Der Schulleiter will mich ihnen kurz vorstellen und danach kommen einzelne Schüler vor und stellen zu mir und meiner Reise Fragen. Die Kreativste ist, ob ich denn ein deutsches Lied singen könnte? Tja und so kommt man dann dazu vor 500 Leuten „Alle meine Entchen“ zu trällern. Ich weiß auch nicht, was ich falsch oder richtig gemacht habe, dass die Schüler danach noch eine Zugabe wollen. Aber wer so unverblümt nach Ohrenkrebs frägt, der soll ihn auch bekommen und so gebe ich noch ein „Hörst du die Regenwürmer husten?“ zu meinem Besten. Was Besseres fällt mir gerade auch nicht ein.

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Trotzdem zufrieden mit meiner Performance geht es dann zurück in das Zimmer des Schulleiters. Die Schüler haben hier einiges mehr zu tun als bei uns in Deutschland. Haben sie mich vorhin schon zum Essen bedient, müssen sie jetzt mein Bett herrichten.

Ich staune auch nicht schlecht, als sich der Schulleiter am nächsten Morgen erst einmal von drei Schülern an den Füßen massieren lässt. Ja liebe Lehrer, die ihr hier mitlest, ihr habt definitiv das falsche Land für euren Beruf gewählt. 😉

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7 Kommentare

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  • Hallo Samuel,

    Kopf hoch, durch den Zoo-Effekt wirst Du durch müssen, dafür darfst Du eben auch mal Pop-Star spielen. Wenn Aliens auf unserem Planeten landen, würden wir sie auch anstarren – und im Moment bist Du der Alien in Indien (Sting war der Alien in New York …).
    Dein Fahrrad hat den Sturz gut verkraftet?
    Beste Grüße aus dem kalten Bayernland
    Stefan

    • Ja, zumindestens weiß ich so, dass ich nicht Popstar werden will. 😀

      Bin gottseidank nur mit der Tasche gegen das andere Motorrad.

      Schöne Grüße

      Samuel

  • Hallo Samuel,
    ganz herzliche Grüße endlich einmal wieder aus der Pfalz von Carola und Christof mit dem Tandem. Deinen Blog verfolge ich weiterhin mit Begeisterung und bin jedesmal neu fasziniert von deinen Erlebnissen und auch deinen Bildern. Mein absoluter Favorit ist das kleine indische Mädchen. Die Schilderung der Massenaufregungen die du verursachst sind echt nichts für Klaustrophobiker. Was mir bei den dazugehörigen Bildern auffällt ist, dass es wohl Männer sind. Die Bilder mit Frauen zeigen sie jedes Mal in „Alltagssituationen“. Sind es wirklich immer nur die Männer die Zeit für den „Zoobesuch“ haben?
    Solche Auftritte in den Schulen sind ja wirklich grandios aber ich kann nachvollziehen, dass einem das zuviel werden kann. Beide Seiten erleben hier einen Kulturschock.
    Ich hoffe sehr dass ihr beide, du und dein Rad, den Sturz gut überstanden habt.
    Ganz herzliche Grüße
    Carola

    • Das stimmt. Es sind immer nur Männer. Es war wirklich nie eine Frau dabei. Die sind zwar zum einen mehr zu Hause, aber auch sonst nicht so aufdringlich.

      Schöne Grüße

      Samuel

  • Hallo Samuel
    Neulich dachte ich „Der Samuel hat schon lange nichts von sich hören lassen“, nun bin ich beruhigt und froh, dass du wohlauf bist. Ich kann dir nachfühlen, dass dieses dauernde ausgestellt sein alles andere als angenehm ist. Du scheinst aber für die Leute aus einem fernem Stern zu kommen und möchten ihre Neugier befriedigen. Du aber siehst den ganzen Tag neues, immer wieder, deine Neugier ist befriedigt.
    Den Begegnungen mit Menschen kannst du nicht ausweichen. Was du aber vermehrt tun kannst, ist vermehrt, solche Momente de Ruhe und der Beschaulichkeit zu haben und die zu genissen. Das tut deinem Körper und deiner Seele gut.
    Weiterhin alles Gute!
    Liebe Grüsse aus der Schweiz
    Hans-Ueli Kohler

    • Ja, ich sollte etwas mehr Blogartikel zurzeit posten. Es gibt noch einige Geschichten zu erzählen. Bin jetzt bloß gerade für einen Monat in Rishikesh, da ein spiritueller Lehrer aus Europa namens Mooji hier Satsang abhält und so fliegt die Zeit schneller vorbei, als ich gucken kann.

      Liebe Grüße

      Samuel

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